Und wo bleibt das Recht auf informelle Selbstbestimmung (der Datenschutz)
... fragt man sich einmal mehr (zum wievielten Mal allein schon in diesem Jahr)?
Die Bundesregierung hat vor einigen Tagen beschlossen, allen 19 Geheimdiensten den Einsatz von Staatstrojanern zu erlauben. Das Kabinett hat den Gesetzentwurf zur Anpassung des Verfassungsschutzrechts angenommen, er kommt damit in den Bundestag.
Hierauf weist u.a. netzpolitik.org hin (Link zum Artikel: https://netzpolitik.org/2020/bundesregierung-beschliesst-staatstrojaner-fuer-alle-geheimdienste/)
Im März 2019 hatte das Innenministerium einen ersten Gesetzentwurf erarbeitet. Damals sollten Bundesamt für Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst die Online-Durchsuchung bekommen. Die SPD war dagegen, sagte: „Mit der SPD ist das nicht zu machen“.
Im Juni 2020 legte das Innenministerium einen zweiten Gesetzentwurf vor. Damit sollten alle 19 Bundes- und Landesgeheimdienste die Quellen-TKÜ bekommen. Teile der SPD waren dafür, die Parteivorsitzende Saskia Esken war dagegen.
Mit dem jetzt beschlossenen Gesetzentwurf der Bundesregierung hat sich Innenminister Seehofer durchgesetzt. Der Staatstrojaner wird nicht auf den Bundes-Verfassungsschutz oder den Auslandsgeheimdienst BND beschränkt, neben dem Militärgeheimdienst MAD dürfen auch alle 16 Landesämter für Verfassungsschutz Endgeräte hacken, um Kommunikation auszuleiten.
Eine zunächst diskutierte Beschränkung auf Fälle, in denen Anschläge unmittelbar bevorstehen und ausländische Geheimdienste bereits Informationen geliefert haben, findet sich nirgends. Damit können die Landesämter alle ausspionieren, die sie beobachten, beispielsweise den Verein der Verfolgten des Naziregimes in Bayern oder Ende Gelände in Berlin.
Auch die umstrittene Verpflichtung von Internet-Anbietern, bei der Installation der Schadsoftware zu helfen, ist im aktuellen Gesetzentwurf enthalten.
Zur Frage der IT-Sicherheit verliert die Bundesregierung kein Wort. Gestern haben Innenministerium und BSI vor einem weiteren Anstieg von Sicherheitslücken und Schadprogrammen gewarnt. Heute wird beschlossen, dass immer mehr Behörden Sicherheitslücken lieber offen halten sollen, statt sie zu schließen. Das gefährdet die innere Sicherheit der ganzen Gesellschaft.
Mit dem aktuellen Gesetz setzt die Große Koalition ihre bekannte Linie konsequent fort. In der letzten Legislaturperiode hat sie den Einsatz von Staatstrojanern für die Polizei massiv ausgeweitet, von der Verhinderung von Terroranschlägen zur Verfolgung von Alltagskriminalität. Damals bezeichneten wir das als krassestes Überwachungsgesetz der Legislaturperiode. Dafür ist auch dieses Gesetz ein guter Kandidat.
Damals wie heute ist die Linie von CDU/CSU von Anfang an eindeutig. Damals wie heute blinkt die SPD erst links, um dann rechts abzubiegen. Auch gegen die Überzeugung der mächtigsten Netzpolitikerin der Bundesrepublik.“
Vor blankem Entsetzen gehen mir langsam die Ideen aus, diesen ausufernden Wahnsinn noch irgendwie zu kommentieren. Mit meinem Demokratieverständnis ist dieser ausufernde Überwachungsstatt nicht zu vereinbaren. Keiner, der sich so etwas ernsthaft ausdenkt, dürfte von irgendjemandem noch einmal für irgendetwas gewählt werden. Und nun wird es ganz deprimierend: Ich sehe nirgendwo irgendeine Alternative. Keine Opposition, nicht mal ein laues Lüftlein der Kritik nur ansatzweise in Sicht, geschweige denn ein irgenwie geartetes aufbegehren. Wolfgang Trepper hat es neulich sinngemäß so formuliert: Betrachtet man unsere Politiker könne man meinen, Corona habe die gesamte politische Elite hinweggerafft. Ich füge an: Das, was wir täglich hören, sehen, ertragen müssen, hat nicht mal Reste-Rampen-Niveau.
Nachtrag: Ich fühle mich nicht mehr ganz so als einsamer Rufer: Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber kritisierte in einem Spiegel-Online Interview diese Pläne der Großen Koalition, u.a. mit den Worten: „Das Ausmaß der staatlichen Überwachung übersteigt mittlerweile das für eine Demokratie erträgliche Maß.“
„SPIEGEL: Die Bundesregierung will sämtlichen 19 Geheimdiensten künftig erlauben, die Kommunikation aus verschlüsselten Messenger-Diensten mitzuschneiden, sofern eine entsprechende Anordnung vorliegt. Was halten Sie davon?
Kelber: Die Nachrichtendienste sollten keine solchen zusätzlichen, massiven Eingriffsmöglichkeiten in die Privatsphäre erhalten. Polizei- und Strafverfolgungsbehörden können verschlüsselte Messenger-Kommunikation bereits mitschneiden. Das Ausmaß der staatlichen Überwachung übersteigt mittlerweile das für eine Demokratie erträgliche Maß.“
Link zu dem kompletten Interview: https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/staatstrojaner-ueberwachung-uebersteigt-das-fuer-eine-demokratie-ertraegliche-mass-a-239c5085-9300-4f53-998e-9799671bd01f