Der lange Schatten der Macht

Wir werden Nummer

Der lange Schatten der Macht

Es widerspricht „der menschlichen Würde, den Menschen zum bloßen Objekt im Staat zu machen […]. Mit der Menschenwürde wäre es nicht zu vereinbaren, wenn der Staat das Recht für sich in Anspruch nehmen könnte, den Menschen zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren, sei es auch in der Anonymität einer statistischen Erhebung, und ihn damit wie eine Sache zu behandeln, die einer Bestandsaufnahme in jeder Beziehung zugänglich ist.“

Schon 1969 hatte das höchste Gericht in seinem „Mikrozensusurteil“ so befunden. Diese Linie des Gerichts wurde im Volkszählungsurteil 1983 ausdrücklich bestätigt, das BVerfG nannte die Verwendung eines Personenkennzeichens darin ausdrücklich als Negativbeispiel einer verfassungswidrigen Rechtslage.

Besser als das Bundesverfassungsgericht es vorgegeben hat, kann man es kaum formulieren. Aber was störts unsere heutigen Politlinge? Die Frage ist rein rhetorisch, die Antwort natürlich: Nichts oder auch Überhauptgarnix!

Mit dem „Gesetz zur Einführung und Verwendung einer Identifikationsnummer in der öffentlichen Verwaltung“ wird die ab 2008 vergebene Steuer-ID als „Identifikationsnummer“ aller in Deutschland lebenden Personen etablieren. Damit soll der Datenaustausch zwischen Behörden vereinfacht werden.

Ein Knopfdruck, alle Daten: Big Brother freut sich und freut sich und freut sich. Soviel Gelegenheit zur Freude wie heute hatte er noch nie, nähern sich doch zumindest die Werkzeuge immer mehr „Ozeanien“ an oder übertreffen gar die kühnsten Erwartungen (nur mit knapp 40-jähriger Verspätung, legt man den Orwellschen Titel „1984“ zu Grunde).

Mit dem „Registermodernisierungsgesetz“ (RegModG) genannten Werk soll ein wesentlicher Schritt in der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung gegangen werden. Angeblich soll es Argumente des Datenschutzes geben, die aber wohl nur unsere Regierung sieht.

So ließe sich auch der Zensus (sprich: Volkszählung) in Zukunft ohne das aufwendige Verfahren durchführen, das derzeit für den auf 2022 verschobenen EU-weiten Zensus 2021 auf den Weg gebracht wird. Mir drängt sich die Frage auf wer genau das braucht und warum wofür.

Ich sehe vor allem die Gefahr, der beständigen Datenzusammenführung zu fragwürdigen über zwielichtige hin zu offen rechtswidrigen Zwecken. Die dinge sind nicht automatisch gut, nur weil der Staat es macht.

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) hält mit Blick auf diese Rechtsprechung und entgegen der Ausführungen der Bundesregierung im Gesetzentwurf an seiner klaren Kritik an der geplanten Identifikationsnummer fest. Ein Personenkennzeichen sei „mit der Verfassung nicht vereinbar. Es schafft ein system-inhärentes, übermäßiges Risiko der Katalogisierung der Persönlichkeit“ und biete „keinen ausreichenden Schutz vor Missbrauch“. Es reiche mit Blick auf das Mikrozensus- und das Volkszählungsurteil des BVerfG bereits der subjektive Eindruck des Bürgers/der Bürgerin, dass seine/ihre Persönlichkeit, der besonders geschützte „geistige Innenraum“, nicht mehr frei von staatlicher Beobachtung, Katalogisierung und totaler Erfassung sei und er/sie darauf mit einer äußeren Anpassung seiner Verhaltensweisen beginne.

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und Informationsfreiheit (BfDI) verweist darauf, dass die Identifikationsnummer auch von der Privatwirtschaft als zentrales Ordnungsmerkmal benutzt werden könne, um die Datenverarbeitung (beispielsweise bei der Vermietung von Fahrzeugen, der Authentifizierung in Finanzgeschäften, etc.) zu vereinfachen.

Mit unseren ausländischen Mitbürger*innen hat man ja schon geübt. So wird für alle Personen, die im Ausländerzentralregister (AZR) gespeichert sind, eine AZR-Nummer zu ihrem Datensatz gespeichert. Diese diente lange nur dem Austausch zwischen der zuständigen Ausländerbehörde und dem AZR, blieb aber auch nach einem Umzug in den Zuständigkeitsbereich einer anderen Ausländerbehörde gleich. Mit dem „Datenaustauschverbesserungsgesetz“ und der Einführung eines neuen „Kerndatensystems“ für neu ankommende Geflüchtete wurde zusätzlich eine Nummer für den „Ankunftsnachweis“ (AKN-Nummer) vergeben, die dann auch für den Datenaustausch weiterer Behörden mit dem AZR genutzt werden kann.

Mit dem „Zweiten Datenaustauschverbesserungsgesetz“ wurde eine Grundlage geschaffen, die AZR-Nummer aller Ausländer*innen auf ihren Aufenthaltstitel beziehungsweise Bescheinigungen aufzudrucken, um den Datenabruf (zunächst nur) der Ausländerbehörden zu erleichtern. Mit der kürzlich vom Bundestag beschlossenen Änderung des Bundesmeldegesetzes wurde – weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit – der Gebrauch der AZR-Nummer durch alle möglichen Behörden beim Datenabruf bei den Meldeämtern zugelassen. Hierdurch wird die enge Zweckbindung der AZR-Nummer aufgeweicht und faktisch für „Ausländer*innen“ zumindest ein wesentlicher Schritt in Richtung einer PKZ gegangen.

Der Autor des Artikels, den ich als Quelle für diesen Blog genutzt und damit zur Darlegung meiner Ansicht, meiner Bewertung gemacht habe, Dirk Burcyk schließt seinen Artikel auf der Basis der Ausführungen zum AZR mit folgendem Absatz:

„Vor diesem Hintergrund ist es nicht besonders abwegig davon auszugehen, dass sich auch die Identifikationsnummer irgendwann auf Pässen, Personalausweisen und weiteren amtlichen Dokumenten wiederfinden wird. Während der Verweis auf genau diese staatliche Praxis in der DDR in den 1970er Jahren noch ausreichte, um die damaligen PKZ-Pläne zu Fall zu bringen, scheint diese Erinnerung dreißig Jahre nach ihrem Ende ausreichend verblasst, um sie ignorieren zu können.“

Dem füge ich nichts mehr hinzu.

Quelle: Dirk Burczyk in netzpolitik.org, aktualisierte Fassung eines Beitrags in der Zeitschrift „CILIP – Bürgerrechte & Polizei“ (Nr. 123). Er ist Referent für Innenpolitik der Linksfraktion im Bundestag und Redakteur bei CILIP. Vollständiger Artikel:

https://netzpolitik.org/2021/eine-nummer-fuer-alles-und-jeden/

Stellungnahme des BfDI zum Gesetz abrufbar unter:

https://www.bfdi.bund.de/DE/Infothek/Transparenz/Stellungnahmen/2020/StgN_InnenA-Registermodernisierungsgesetz.html

ergänzend zum Thema: Eine Zusammenfassung der Debatte zu der Verabschiedung des „Registermodernisierungsgesetzes“:

https://netzpolitik.org/2020/die-verfassungsrechtliche-kritik-ist-insgesamt-vernichtend/

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